19
Feb
2005

Bei Anruf Demenz

Übrigens nehme ich den Aufruf der Bürgerwelle sehr ernst und bin im Rahmen meiner Möglichkeiten als Warnerin vor Handystrahlen in meinem Kreis recht erfolgreich. Wenn jeder in seinem Bekannten- und Verwandtenkreis als Multiplikator tätig ist, kann in der Summe viel dabei heraus kommen. Sehr viele Menschen wissen immer noch nicht was sie da für HF-Geräte im Hause haben und sind dankbar für Informationen.

Helga Günther


19.FEB 05 MAGAZIN

Frankfurter Rundschau

Moden

Bei Anruf Demenz

TEXT: Tobias Moorstedt

Die Mode ist ein Feld voller Tretminen. Selten meinen die Dinge das, was sie auf den ersten Blick sagen. Man muss die Zeichen zu deuten wissen.

Heute: Handy-Klone

Ein Telefonanruf kann schmerzhaft sein. Auf dem Handy-Display sitzt ein blass-weißer Frosch, friedlich und ruhig. Immer aber wenn ein ankommender Anruf das Mobiltelefon erschüttert, springt die animierte Tierfigur auf, als hätte man ihr eine Chilli-LSD-Injektion verpasst: Der Frosch beginnt zu halluzinieren, plappert, brabbelt, wackelt mit den Armen, die Augen verdreht, die Zunge am Kinn, hallo, ein Anruf, hallo, Alarm!

Mobiltelefone sind zu Multimedia-Geräten mutiert, können Videos, Bilder und Musik abspielen. Ganz oben in der Handy-Hitparade stehen jedoch keine Videoschnipsel von den üblichen Stars wie Nelly oder Xtina, sondern der so genannte „bekloppte Frosch“, das Nashorn „Spike“ oder das Kücken Sweety“. Kleine, hässliche Animationen aus der Klonwerkstatt des Computers. „MTV mobile“ macht in der Very Heavy Rotation der Werbepause die Kakerlake „Roque“ zur zentralen Identifikationsfigur. Und beim Marktführer „Jamba“ sind unter der Rubrik „Stars“ neben Usher und Beyoncé auch Sweety und Spike aufgelistet, gleichwertig und gleichberechtigt, als Ikonen des mobilen Unterhaltungszeitalters.

Die Handy-Tiere sind keine niedlichen Kuschel-Kreaturen, sondern übergewichtige Dickhäuter, Nager, Ungeziefer. Um ihre schrillen Techno-Kompositionen zu vermarkten, brauchen die Klingelton-Dealer ein Gesicht. Doch im mobilen Markt ist die Aufmerksamkeitsspanne besonders kurz, man muss auffallen, und das macht man nicht mit einem perfekt modellierten Gesicht, sondern mit verzerrten Zügen, Fratzen, Grimassen, den digitalen „Freaks of nature“.

Aber ist nicht Mut zur Hässlichkeit der Anfang jeder popkulturellen Bewegung? Und David Bowie hat in einem Interview mal gesagt: „ Jedes Medium bringt auch eine neue Art von Popstar hervor.“ MTV hat die Musik ins Fernsehen gebracht, und das Auge wurde wichtiger als das Ohr, das Image wichtiger als ein schöner Ton. Nun schlüpft die Musik in das Telefon und wieder entsteht ein neuer Star – schneller, greller, heller. Roque, Sweety und der bekloppte Frosch sind Stars der dritten oder vierten Art. Für die Strategen der Musikindustrie ist das eine positive Entwicklung. Die digitalen Kreaturen sind angenehme Arbeitnehmer. Beschwerden über lange Arbeitszeit und fehlende Privatsphäre sind nicht zu erwarten. Optische Korrekturen führt man ohne Blutverlust im Photoshop-Programm durch. Und das Beste: Spike und Smash sind beliebig zu vervielfältigen. Jeder kann sie besitzen und in der Hosentasche herumtragen. Bis das nächste Update kommt und der veraltete Popstar einfach gelöscht wird. „Popmusik nimmt gesellschaftliche Entwicklungen vorweg“, hat Jacques Attali gesagt.

Was nun in Zukunft blüht, zeigt vielleicht eine Studie der Lunds-Universität in Malmö. Bei Tierversuchen fanden die Wissenschaftler heraus, dass handyartige Strahlen Nervengewebe schädigen und Alzheimer auslösen könnten. Frosch, Kakerlake und Ratte sind perfekte Haustiere für die Generation Demenz. In 20 Jahren tanzen die hässlichen Tiere ein endloses Ringelreihen in unserem Kopf, und wir werden gefangen sein, in einem Alptraum aus scheppernden Glocken und blinkenden Lichtern – immer erreichbar, aber leider nicht mehr ansprechbar.
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