26
Mai
2005

Sturm auf die Antennen

Elektrosmog

Sturm auf die Antennen

Text: Thomas Grether, Christoph Schilling, Bild: Gerry Nitsch

Die Angst vor der Verstrahlung nimmt zu: Überall im Land versuchen Bürgerinnen und Bürger, neue Handyantennen zu verhindern. Meist sind sie machtlos.

Hotel Seedamm Plaza in Pfäffikon SZ, 7. April 2005, nach dem Mittagessen: Gemeinderäte zahlreicher Zürichseegemeinden nippen zusammen mit Swisscom-Vertretern zufrieden an ihrem Kaffee. Man ist unter sich. Swisscom Mobile hat die Gemeinderäte zu einer Informationsveranstaltung eingeladen, die Bevölkerung aber ausgesperrt. Der Mobilfunk-Leader will sich die Politiker vertraulich und ungestört vornehmen. «Wir legen Ihnen die Fakten auf den Tisch», verspricht Swisscom Mobile.

Der Mobilfunkbetreiber will rund um den Zürichsee zügig Handyantennen aufstellen. Die Gemeinderäte sollen dabei helfen. Bedenken, die Strahlung der Anlagen könnte die Gesundheit schädigen, werden bagatellisiert. Ein PR-Mann der Swisscom legt Folien auf, bezeichnet Elektrosensible als «selbstdeklariert» und als «Multiallergiker». Und sagt, Studien würden «eine starke psychische Komponente» belegen.

Jeden Tag zwei neue Handymasten

«Damit stempelt die Swisscom Elektrosensible zu psychisch Kranken, obwohl die Wissenschaft gesundheitliche Schäden längst nachgewiesen hat», empört sich Lothar Geppert vom Verein Diagnose Funk, der für einen strahlungsarmen Mobilfunk kämpft. Die Telekomindustrie veranstalte seit Jahren solche Einseif-Aktionen. «Sechs von acht Referenten sind von der Lobby. Oft reden selbst anwesende Vertreter der Behörden ganz im Sinn der Industrie.»

Ingenieur Geppert unterstützt besorgte Bürger an Einspracheverhandlungen gegen Antennen. Allein im Jahr 2004 wurden in der Schweiz jeden Tag zwei neue Handymasten hochgezogen. An 10000 Masten hängen Antennen der alten GSM-Generation, an weiteren 2100 neuste UMTS-Anlagen, die Fotos übertragen können. Weil ein Mast bis zu sechs Antennen trägt, sind zurzeit insgesamt etwa 35000 in Betrieb. Alle senden gepulste Mikrowellen. Für Geppert ist klar: «Weder Behörden noch Politiker, noch die Telekomindustrie nehmen unsere Sorgen ernst.»

Widerstand gegen den Antennenwildwuchs kommt längst nicht mehr nur aus dem Lager der Umweltfundis, die Handys am liebsten verbieten möchten. Mittlerweile unterschreiben Tausende besorgter Bürgerinnen und Bürger Einsprachen gegen neue Masten. Sie sind nicht gegen Handys, aber dagegen, dass die Sendeanlagen mitten in Wohnzonen gestellt werden. «Es gibt kaum ein Antennenbaugesuch im Kanton Zug, das nicht mit Einsprachen verzögert würde», bestätigt etwa Armin Rutishauser vom kantonalen Amt für Umweltschutz. Selbst in Wohlen AG, dem Wohnort von Swisscom-Chef Jens Alder, kamen 1700 Unterschriften gegen zwei neue Antennen zusammen – der Rechtsstreit dauert an.

Meist bleibt er ohne Erfolg, wie etwa im bernischen Schliern. Dort wehrte sich die Bevölkerung gegen den Aus- und Neubau zweier Antennen von Swisscom und Orange unmittelbar beim Schulhaus. Mitglieder des Umweltforums sammelten Unterschriften, bildeten sich juristisch weiter, lancierten Einsprachen und eine Petition. Sie ließen sogar auf eigene Kosten Expertisen durchführen. «Wir setzten dafür zahllose Wochenenden ein, arbeiteten nächtelang», erinnert sich Hans-Peter Roost, einer der Beteiligten. Um unliebsame Einsprachen wie diese abzuschmettern, beschäftigt allein Orange 30 Angestellte. Dem lokalen Umweltforum fehlte es letztlich – nach drei Jahren Kampf – an Geld, einen telekomfreundlichen Entscheid des Verwaltungsgerichts anzufechten. Swisscom und Orange erreichten ihr Ziel: Heute kreuzen sich in Schliern – genau über dem Blindenmoos-Schulhaus mit über 500 Kindern – die Strahlenkegel zweier Antennen.

«Die verantwortlichen Gemeindebehörden opferten alles den kommerziellen Interessen», ärgert sich Hans-Peter Roost.

Das letzte Mittel: Schlafen im Keller

Kritik an den Gemeindebehörden auch in Thalwil ZH: Dort steht eine Antenne auf dem Bergschulhaus. Die Gemeinde erhält dafür von Sunrise jährlich 2400 Franken. Einige Antennennachbarn schlafen nur noch im Keller. Sie hatten sich erfolglos gegen die Anlage gewehrt. «Die Gemeinderäte unterwarfen sich kampflos der Telekomindustrie», sagt die Zahnärztin Cécile Pajarola resigniert. Wegen schlafloser Nächte, schwerer Sehstörungen und unerträglicher Ohrenschmerzen musste sie die Leitung der Schulzahnklinik aufgeben. Gemeindeschreiber Martin Pallioppi weist die Kritik zurück, man habe sich für die Bevölkerung zu wenig eingesetzt. «Als wir den Vertrag mit Sunrise abschlossen, waren die Gefahren noch nicht so bekannt.» Die Gegenwehr der Bürger bewirkte immerhin, dass Thalwil den Vertrag aufs Jahr 2008 kündigte und künftig auf Gemeindegebiet keine Antennen mehr zulässt.

Andere Gemeindebehörden gehen bis vor Bundesgericht. Doch meist ist es ein Kampf gegen Windmühlen. «Bundesrat und Parlament haben es bei der Neuordnung des Fernmeldewesens 1997 verpasst, im Gesetz einander gegenüberstehende Interessen der Bevölkerung zu definieren und aufeinander abzustimmen», kritisiert Umweltrecht-Spezialist Alain Griffel, Privatdozent für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich. Auf der einen Seite geht es um den Schutz vor elektromagnetischer Strahlung, auf der andern um den Ausbau des Handynetzes. Griffel: «Der Gesetzgeber hat diese heiße Kartoffel stattdessen den Behörden und Gerichten zugeschoben.» Diesen seien mangels gesetzlicher Regelung die Hände gebunden, Antennen zu verhindern, die auf privatem Grund gebaut werden. Mit andern Worten: Halten Swisscom, Sunrise und Orange die gesetzlichen Grenzwerte ein, und das tun sie in der Regel, ist eine geplante Antenne praktisch nicht zu verhindern. Laut Griffel bleiben mehr als 95 Prozent der Einsprachen erfolglos. «Für die Bevölkerung und die Gemeinden ist das ein ohnmächtiger und teurer Kampf.»

Der Bund verdient am Mobilfunk mit

Für den Widerstand und die Bedenken der Bevölkerung habe man Verständnis, sagt Swisscom-Sprecherin Pia Colombo. «Jede neue Technologie löst eine gewisse Verunsicherung aus.» Deshalb auf Antennenstandorte verzichten? Nein, meint der Sunrise-Sprecher Michael Burkhardt. «Der Wunsch der Kunden nach einer qualitativ hoch stehenden Abdeckung zieht einen Ausbau der Netze nach sich.»


Wenn es um den Standort einer Antenne geht, haben die Gemeinden nichts zu sagen. Auf Privatgelände dürfen die Telekomfirmen bauen, wo sie wollen. Das Gesetz sagt bloß, dass Antennen grundsätzlich innerhalb der Bauzonen – also meist mitten im Siedlungsgebiet – zu erstellen sind. Fälle, bei denen die Bevölkerung mitreden konnte und ein anderer als der geplante Standort gewählt wurde, lassen sich laut Orange-Sprecher Tilman Eberle «an einer Hand abzählen».

Denn die Hürden sind meist hoch. So wollten über 1400 Einwohner von Wettingen AG der Gemeinde mehr Mitsprache bei der Standortwahl verschaffen. Sie forderten in einer Initiative, den Antennenbau in der kommunalen Bau- und Nutzungsordnung zu regeln. Der Einwohnerrat erklärte die Initiative jedoch für ungültig, da sie gegen Bundesrecht verstoße.

Erstaunlich: Keines der Bundesämter in Bern ist zuständig für den Ausgleich der Interessen zwischen der profitorientierten Mobilfunkindustrie und den besorgten Bürgern. Stattdessen fördert der Bund den liberalisierten und privatisierten Telekommarkt. Und verdient kräftig mit – als Mehrheitsaktionär der Swisscom, die allein letztes Jahr einen Reingewinn von 1,5 Milliarden Franken eingestrichen hat.

Wegen Befangenheit hat der Bundesrat die Aufsicht über den Mobilfunkmarkt daher an die außerparlamentarische Kommunikationskommission (ComCom) delegiert. Die ComCom ist die eigentliche Machtzentrale. Sie unterliegt in ihren Entscheiden keinen Weisungen von Bundesrat und Departement. Präsident ist seit Januar Marc Furrer, davor über zehn Jahre lang Direktor des Bundesamts für Kommunikation (Bakom). Er wäre der Mann, der ein Moratorium verhängen könnte (siehe Nebenartikel «Handy-Antennen: Ein Moratorium drängt sich nicht auf»). Doch die Ängste der Bevölkerung haben bei ihm nicht Priorität. Dies zeigt schon die Tatsache, dass im Jahresbericht des Bakom davon überhaupt nicht und im Bericht der ComCom auf über 30 Seiten nur gerade einmal kurz von «Antennenproblematik» die Rede ist.

Strahlung: «Meistens voll am Limit»

Auch juristisch hat die Telekombranche leichtes Spiel. Anwälte von Swisscom, Orange und Sunrise stützen sich seit Jahren genüsslich auf die Rechtsprechung der Bundesrichter. Diese haben mehrmals bekräftigt, dass die Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV), welche Grenzwerte festlegt, die Vorsorge abschließend regelt. Gemeinden können eine Antennenbewilligung nicht wegen gesundheitlicher Bedenken verweigern. Bereits vor fünf Jahren entschied das Bundesgericht: «Weitergehende Begrenzungen im Einzelfall sind nicht zulässig.» Swisscom-Sprecherin Pia Colombo sagt denn auch: «Blockiert ist keines unserer Projekte. Dies wäre nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht zulässig.»

So stehen bis heute die Grenzwerte der NIS-Verordnung über allem. «Das Bundesgericht hat sie quasi heilig gesprochen», sagt Elektrosmog-Spezialist Josef Peter aus Illnau, der seit Jahren die Strahlung von Mobilfunkantennen misst. Für ihn steht fest: «Das Bundesgericht widerspricht bei seinen Entscheiden dem Umweltschutzgesetz.» Denn dieses verlangt, dass Maßnahmen zur Verminderung von Mobilfunkstrahlung zu treffen sind, sofern dies technisch machbar ist. Die Netzbetreiber kümmere dies wenig. Sie orientierten sich am starren Grenzwert, sagt Peter: «Sie gehen meistens voll ans Limit.»

Swisscom, Sunrise und Orange lassen keine Gelegenheit aus, den Grenzwert als «den strengsten in Europa» zu bezeichnen. Tatsächlich ist er rund zehnmal tiefer als etwa jener in Deutschland. Doch auf fundierten Untersuchungen basiert er nicht. «Man hat ihn pauschal und über den Daumen gepeilt reduziert», kritisiert der Zürcher Umweltjurist Andreas Laki das damalige Vorgehen. Dass es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gab, habe man dabei nur scheinbar berücksichtigt.

Selbstmord wegen Elektrosmog?

Dies bestätigt Strahlenspezialist Josef Peter, der den Grenzwert heute als «willkürlich» bezeichnet. Er war einer der Experten, die Bundesrat Moritz Leuenberger bei der Festsetzung des Werts berieten. Leuenberger stand unter dem Druck der Industrie. Das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft stellte den Schutz der Bevölkerung in den Vordergrund, steckte aber eine Niederlage ein: Es hatte einen viermal strengeren Grenzwert als den heute geltenden vorgeschlagen.

Ginge es nach der Vereinigung der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, der 2000 FMH-Mediziner angehören, würden zurzeit keine neuen Antennen gebaut: Sie forderten letztes Jahr ein Moratorium. Eine holländische Studie stellte fest, dass selbst Menschen, die sonst nicht sensibel auf elektromagnetische Felder reagieren, an Schwindel und Kribbeln leiden, wenn sie UMTS-Strahlen ausgesetzt sind. Dies schon bei Belastungen, wie sie in der Schweiz üblich sind. Diese Studie «ist der erste direkte Hinweis, dass UMTS-Strahlung die Gesundheit beeinträchtigt», sagt Mirjana Moser, Strahlenschutzexpertin beim Bundesamt für Gesundheit. «Das kam für die Wissenschaftler unerwartet.»

«Die Wirkung der Antennenstrahlung auf die Gesundheit hätte besser untersucht werden müssen, bevor die Netze aufgebaut wurden», kritisiert Umweltjurist Andreas Laki. «Aufgrund der zahlreichen Hinweise auf negative Auswirkungen sollte man von den Betreibern den Nachweis der Unschädlichkeit verlangen, statt der Forschung den Nachweis der Schädlichkeit aufzubürden.»

An der ETH Zürich wird die Studie zurzeit wiederholt. Doch selbst bei gleichen Ergebnissen wie in Holland wird ComCom-Präsident Furrer keinen Antennenstopp verfügen, wie er im Interview mit dem Beobachter bestätigt.

Für Stefan Zimmermann kämen solche Maßnahmen ohnehin zu spät. Der 18-Jährige schoss sich im September 2002 bei Mellingen AG mit einer Pistole in den Kopf. «Ich habe es satt, sieben Tage in der Woche mit Kopfweh aufzuwachen», schrieb er in seinem Abschiedsbrief. 30 Meter von seinem Elternhaus entfernt steht eine Swisscom-Antenne, seit 1994. Damals begannen auch die Kopfschmerzen. «Wir haben keine Gewissheit, es besteht aber der Verdacht, dass unser Sohn elektrosensibel war», sagt seine Mutter Madlen Zimmermann. Die Einsprache von Stefans Eltern und mehr als 400 anderen Mellinger Einwohnern hatte nichts gebracht.

Das Unternehmen bedaure «die tragischen Umstände» in Mellingen, halte aber am UMTS-Ausbau der Antenne fest, sagt Swisscom-Sprecherin Pia Colombo. Man habe eine Kontrollmessung gemacht. «Dieses besondere Entgegenkommen ist und bleibt aber die Ausnahme.» Der Tod des 18-Jährigen hat immerhin das Aargauer Baudepartement aufgerüttelt. Es sieht sich veranlasst, den gesetzlich zulässigen Vorsorge-Grenzwert der Antenne zu halbieren. Dazu habe man sich «im Lichte des tragischen Vorfalls» entschlossen.

http://www.beobachter.ch/asset_8833.asp?session=DFD53965-1508-4BC5-B58C-BAC5AB2EAD66


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