28
Jul
2004

Wut und Tränen – Wie Hartz IV das Land verändert

Hallo

Ich schicke mal das Sendeprotokoll der Report Mainz Sendung vom 26.07.2004

Jetzt soll mir mal einer erklären, dass die Bundesrepublik Deutschland noch ein Sozialstaat ist.



S Ü D W E S T R U N D F U N K

F S - I N L A N D

R E P O R T MAINZ

S E N D U N G: 26.07.2004

http://www.swr.de/report

Wut und Tränen – Wie Hartz IV das Land verändert

Autoren: Adrian Peter, Gottlob Schober
Kamera: Thomas Schäfer
Schnitt: Jonathan Schaider
Moderation Fritz Frey:

Ein Begriff treibt zur Zeit die Emotionen hoch – Hartz IV. Guten Abend zu REPORT aus Mainz. Hartz IV das ist für die Regierung vor allem eines – Hoffnung. Hoffnung beispielsweise darauf, endlich Bewegung in einen Arbeitslosenstatistik zu bringen, in der ein Sockel von rund 3 Millionen Langzeitarbeitslosen steht wie hart gewordener Beton.

Die Opposition befürchtet, Hartz IV werde in Chaos versinken, und der Auftakt war ja alles andere als gelungen. 16 Seiten Bürokratieflut, und Wessies ziehen mit Buschzulage im Gepäck in den Osten und sollen zeigen, wie es geht mit dem Fragebogen.

Fest steht: Ob Hartz IV nun Aufbruch oder Absturz bedeutet, das kann im Moment noch keiner abschließend sagen. Aber bei den Betroffenen geht die Angst um. Angst, dass es jetzt nicht mehr „fördern und fordern“ heißt, sondern nur noch fordern ohne fördern.

Adrian Peter und Gottlob Schober mit einer Momentaufnahme aus Wuppertal.

Bericht:
O-Ton:

»Noch jemand Brot?«

Brot kostenlos. Wir sind bei der Arbeitsloseninitiative „Tacheles“. Viele, die hierher kommen, können es sich kaum mehr leisten, Lebensmittel zu kaufen. Seit Tagen beherrscht Hartz IV die Diskussionen. Die Leute sind sauer, empfinden die Reform als Zumutung. Weniger Geld und dafür auch noch arbeiten.

Frage: Jeden Job annehmen kommt für Sie nicht in Frage?

O-Ton:
»Ne. Ich habe Kfz-Mechaniker gelernt, aber ich kann nicht mehr so in der Halle arbeiten. Ich muss draußen, an der frischen Luft sein. Also für mich kommt nur Bau oder so in Frage. Erstens, weil es mehr hergibt. Und, zweitens, weil es draußen ist, an der frischen Luft.«

Frage: Und wenn man Ihnen sagt, Sie müssen jetzt Toiletten putzen oder jeden Job annehmen?

O-Ton:
»Mache ich. Aber ich schätze mal höchstens einen Tag. Dann werde ich rausgeschmissen. Weil ich die dann so putze, dass sie hinterher schlimmer aussehen als vorher.«

Wuppertal. 27.000 Arbeitsplätze sind seit 1990 verloren gegangen. In diesem Kaufhaus hat Gisela Müller bis vor zwei Jahren gearbeitet. Dann kam das Aus. Die Mitteilung der Geschäftsleitung hängt immer noch an der Tür.

O-Ton:
»Die anhaltende Konjunkturschwäche, verändertes Konsumverhalten und, dadurch bedingt, zu niedriges Eigenkapital brachten die Firma in erhebliche Zahlungsschwierigkeiten.«

70 Bewerbungen hat Gisela Müller seither geschrieben. 70 Absagen. Beim Arbeitsamt macht man der 51-Jährigen wenig Hoffnung.

O-Ton:
»Bei meiner letzten Beratung ist mir gesagt worden, es wäre ein Wunder, wenn ich noch mal Arbeit finden würde. Auf Grund meines Alters.«

Zur Zeit kuriert sie eine Knieverletzung aus. 20 Jahre hat Gisela Müller gearbeitet, zwei Kinder großgezogen und fürs Alter gespart. Zuviel, um das Arbeitslosengeld II zu bekommen, erfährt sie nun bei der Arbeitsloseninitiative „Tacheles“, die sie berät.

O-Ton:
»Ich habe hier aufgeführt, dass ich eine Lebensversicherung habe...«

O-Ton:
»16.000 Euro.«

O-Ton:
»… in der ja dann zuviel...«

O-Ton:
»…Geld drin ist. Ja, klar.«

O-Ton:
»Hier wird es um das Problem gehen, dass Sie... Bei Ihnen ist das Vermögen bis 10.200 Euro geschützt. Und der Rest ist nicht geschützt. Das heißt, das Arbeitsamt wird von Ihnen verlangen, dass Sie den überschüssigen Teil erst mal zum Lebensunterhalt einzusetzen haben.«

Frage: Sind Sie sauer über die Reform jetzt?

O-Ton:
»Ja. Sauer und irgendwie... Ja, ich kann es gar nicht richtig in Worte fassen... Sehr betroffen… «

Frage: Und was bedeutet das für Sie jetzt?

O-Ton:
»Ja, dass auch wirklich mein allerletzter Notgroschen weg ist.«

Jeder Zwölfte in Wuppertal ist von Hartz IV betroffen. Wuppertal-Rott. Hier treffen Michael Scheuermann wieder. Er renoviert gerade seine neue Wohnung. Die nötige Zeit bringt er mit, das Material stellt der Vermieter. Der 35-Jährige ist handwerklich begabt. Jobangebote für ihn gäbe es sogar. Von Hartz IV lässt er sich nicht beeindrucken. Auch nach fünf Jahren Arbeitslosigkeit ist er wählerisch.

O-Ton:
»Wuppertal das wäre mir egal. Düsseldorf ist auch noch OK, da habe ich auch schon gearbeitet. Aber so Sachen wie Lüdenscheid oder Köln oder so, wo ich, wenn ich um 6 Uhr anfangen muss, weil ich ja kein Auto mehr habe durch das knappe Geld, wo ich dann um 3 Uhr aufstehen muss, damit ich um 6 Uhr an der Arbeit bin, das bringt nichts, das ist Blödsinn.«

Frage: Wie werden Sie in Zukunft Ihre Brötchen verdienen?

O-Ton:
»Ja, weiß ich noch nicht. Wahrscheinlich indem ich mir irgendwo einen Job suche. Schwarzarbeit oder so. Weil Festanfangen, das muss ja schon richtig was Festes werden, weil ich auch Schulden habe. Und dann plündern sie mir das Konto. Und dafür brauche ich nicht arbeiten. Also das sehe ich nicht ein.«

Auf 1.000 offene Stellen kommen rund 30.000 Arbeitssuchende.

O-Ton:
»Das Wuppertaler Sozialforum ruft alle Erwerbslosen auf, die Fragebögen und den Antrag zum Arbeitslosengeld II vorerst nicht auszufüllen!«

Ein Boykott soll Hartz IV zumindest zeitweise behindern. Das Interesse in der Demo hält sich in Grenzen. Und dennoch: Polizeischutz für das Arbeitsamt. Ein paar Langzeitarbeitslose und Aktivisten sorgen für Nervosität. Die Demonstranten wollen mit Arbeitsvermittlern diskutieren und dokumentieren das auf Video.

O-Ton:
»Guten Tag.«

O-Ton:
»Warum nicht?..«

O-Ton:
»Das dürfen wir nicht. Melden Sie sich bitte an bei unserem Kollegen.«

O-Ton:
»Ich bin zuständig für Öffentlichkeitsarbeit oder Pressearbeit. Gehen Sie bitte aus dem Haus.«

O-Ton:
»Würden Sie bitte das Haus verlassen.«

Seit 1990 hat sich die Zahl der Industriebeschäftigten fast halbiert.

Die Belzer GmbH. Werkzeuge werden hier hergestellt. Noch. In wenigen Wochen wird die Produktion eingestellt, nach Spanien verlagert. 43 Mitarbeiter haben bereits die Kündigungen in der Tasche. Die meisten haben Jahrzehnte lang in dem Unternehmen malocht.

O-Ton:
»Ich habe eine unheimliche Wut im Bauch, muss ich ganz ehrlich sagen. Nicht nur auf die, die unsere Arbeitsplätze kaputt machen, sondern auch auf die, die die Gesetze geändert haben, weil die uns alle in den Topf der angeblich nichtwilligen Arbeitslosen schmeißen, und wir abgestempelt werden, als würden wir gar nicht mehr arbeiten wollen, obwohl man uns beim Arbeitsamt schon ganz klar sagt: Für Sie ist eigentlich keine Aussicht mehr, überhaupt noch einen Job zu bekommen.«

O-Ton:
»Ich denke mal, ich muss irgendwie jeden Job annehmen, den man mir anbietet. Aber, im Grunde genommen, ich kann mir einen Strick nehmen.«

O-Ton:
»Die Leute, die natürlich jetzt immer gearbeitet haben... die nicht gearbeitet haben. Also da sehe ich nicht ein, dass ich, wo ich Jahrzehnte eingezahlt habe, dann in den gleichen Pott reingeschmissen werden soll. Und dafür bestraft werde.«

3 Uhr nachmittags. Michael Scheuermann macht sich keine allzu großen Sorgen wegen Hartz IV. Erst mal abwarten und Bier trinken.
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