18
Nov
2004

Risiko aus Kleinstpartikeln

[Von ftd.de, 14:14, 17.11.04]

Die Rückversicherungsbranche sucht nach der Berechenbarkeit so genannter Emerging Risks. Elektromagnetische Felder, Nano- und Gentechnik sind als Risiken besonders unbeliebt.

Die Mobilfunkantenne auf dem Dach, winzigste Nanopartikel in der Sonnencreme, die genmanipulierte Tomate auf dem Frühstücksbrötchen - überall lauern unerforschte Gefahren. Im Versicherungsdeutsch heißen sie "Emerging Risks" und gelten als heikle Fälle. "Die Versicherbarkeit von Emerging Risks muss dem strikten Grundsatz nach vielfach verneint werden", heißt es in einer Analyse der Swiss Re. Dennoch müsse man das Damoklesschwert der neuen Risiken "bestmöglich versicherbar machen".

Gerade für die Rückversicherer sind Emerging Risks eine enorme Herausforderung: Da ein Schadensfall in der Vergangenheit noch nicht eingetreten ist, gestaltet sich die Berechenbarkeit des Risikos und damit der nötigen Prämien als äußerst schwierig. Tritt der Schadensfall ein, passiert das häufig graduell und mit großen Zeitabständen. Oft herrscht sogar Unsicherheit darüber, ob überhaupt ein Risiko besteht.

Ausschlussklauseln geplant

Elektromagnetische Felder (EMF) sind so ein umstrittenes Problem: Sie werden durch Mobilfunkantennen, Handys oder Starkstromleitungen erzeugt. Bei vielen Menschen herrscht Angst vor Krankheiten oder anderen Schädigungen, die solche Felder auslösen könnten. "Die Risikoperzeption ist hoch", nennt das Marcel Bürge, Leiter des Bereichs Risk Engineering bei der Swiss Re. "Ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen elektromagnetischer Strahlung und Erkrankungen ist wissenschaftlich aber nicht nachgewiesen." Trotzdem hat es bereits Klagen gegen Mobilfunkbetreiber gegeben. Bis der Gegenbeweis erbracht ist, bleibt das EMF-Risiko für die Rückversicherer weitgehend unkalkulierbar.

Omega: es stimmt nicht, dass ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen elektromagnetischer Strahlung und Erkrankungen nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist. Siehe unter:

Die Naila-Mobilfunkstudie
http://omega.twoday.net/stories/283426/

Wissenschaft und Mobilfunk
http://omega.twoday.net/stories/293807/

Mit einem solchen Risiko will die Branche so wenig wie möglich zu tun haben. In einem Ranking der Swiss Re taucht EMF als das schwierigste unter den Emerging Risks auf - noch vor Genfood und Rinderwahn. "Wenn wir alleine darüber entscheiden könnten, würden wir EMF am liebsten zumindest aus proportionalen Industrie-Versicherungsverträgen ausschließen", sagte Swiss-Re Manager Bürge. Je nach Kunde gebe es bereits Ausschlussklauseln in diesem Bereich: "Ein Mobilfunkantennen-Besitzer wird es schwer haben, von uns eine uneingeschränkte Deckung zu bekommen, die EMF einschließt."

Unbekannte Auswirkungen

Dass die Rückversicherer Angst vor dem Versichern bekommen, ist vor allem bei solchen Risiken der Fall, die sie selbst durch komplizierte mathematische Modelle in ihrer Höhe nicht abschätzen können. "Solange wir die Risiken anhand von Szenarien einigermaßen berechnen können, sind sie versicherbar", so Bürge. In die Kategorie versicherbar fallen die Risiken der Nanotechnologie. Diese relativ neue Technik nutzt winzigste industriell gefertigte Partikel, um beispielsweise schnellere Computerchips herzustellen, effizientere Batterien oder feuchtigkeitsspendende Sonnencremes. Ungeklärt ist bisher aber, was Nanopartikel anrichten können, wenn sie in den menschlichen Körper gelangen. "Tierversuche haben teilweise Ergebnisse gezeigt, die uns an Asbest erinnern", gibt Bürge zu. Deshalb seien die Rückversicherer sehr bestrebt, wissenschaftliche Erkenntnisse über die Nanotechnologie zu sammeln.

Bevölkerung fürchtet Gen-Produkte

Die Möglichkeit zu Tierversuchen macht die Risiken wenigstens in Ansätzen berechenbarer. Aber das ist offenbar nicht der einzige Grund dafür, dass in diesem Bereich Ausschlüsse seitens der Rückversicherer eher unüblich sind. "Nanotechnologie wird sich zu einem Riesengeschäft entwickeln, auch für die Versicherer", prognostizierte Bürge. "Wir versuchen mit Hilfe von Wissenschaftlern sicherzustellen, dass jeder, der Nanopartikel in die Welt setzt, zuvor die Folgen testen muss." Generell gilt für Emerging Risks: Je besser sie zu berechnen sind, desto besser sind sie zu versichern. Große Schwierigkeiten sieht Bürge derzeit im Bereich der Identifikations-Mikrochips sowie in einem möglichen Szenario von Antibiotikaresistenz bei Patienten. Solche Fälle seien für die Rückversicherer wegen möglicher Klagen von Betroffenen überhaupt nicht abschätzbar, sagt Bürge. Genmanipulierte Tomaten oder Sojabohnen hält der Experte persönlich für eher unschädlich. Dennoch verhalte es sich damit ähnlich wie mit EMF: Die psychologische Risikoperzeption in der Bevölkerung sei sehr hoch. Das kann über kurz oder lang auch zu vielen Klagen und möglicherweise Urteilen gegen die Hersteller genmanipulierter Produkte führen, ganz unabhängig vom naturwissenschaftlichen Nachweis einer Schädlichkeit. Dazu kommt, dass gentechnisch veränderte Pflanzen kaum sauber getrennt von anderen Agrarprodukten angebaut werden können. Das kann zu einer Haftung der Gen-Bauern führen - wie sie im deutschen Gesetz auch ausdrücklich vorgesehen ist. In der Liste der problematischen Emerging Risks der Swiss Re schaffen es Nahrungs- und Genussmittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen daher auch auf Platz zwei.

http://www.boerse-online.de/ftd/artikel.html?artikel_id=655815


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