25
Sep
2006

Die Finten der Mobilfunkindustrie machen uns krank

Mobilfunk-Strahlen schaden der Gesundheit. Das wissen die Bürger, und zu diesem Schluss kommt auch die überwiegende Mehrheit der wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema. Trotzdem schafft es die Mobilfunkindustrie, Tausende neuer Antennen aufzustellen. Sie agiert dabei hart an der Grenze der Legalität, wie das Gespräch mit Jürg Zimmermann zeigt.

Zeitpunkt: Wie geht es dem Widerstand gegen Elektro-Smog nach der UMTS-Studie der Uni Zürich?

Jürg Zimmermann: Die Entrüstung bei den Betroffenen ist riesig, weil die publizierten Resultate nicht die Realität wiedergeben. Die Menschen in der Umgebung von Antennen leiden tatsächlich. Zudem gibt es eine grosse Diskrepanz zwischen dem, was an der Medienkonferenz gesagt wurde und was die Medien dann daraus gemacht haben. Gesagt wurde, dass eine kurzfristige Bestrahlung das Wohlbefinden nicht beeinträchtigt. In den Zeitungen stand dann, UMTS-Antennen seien ungefährlich und könnten jetzt errichtet werden.

Die Kritiker wurden kaum zitiert. Haben sie geschlafen und ihre Stellungnahmen erst Tage danach publiziert?

Keineswegs, aber die Umstände der Medienkonferenz waren einzigartig. Am Donnerstag vor Pfingsten erhielten die Medien die Einladung. Bis am Freitag musste man sich anmelden und am Dienstag nach Pfingsten fand die Medienkonferenz statt. Ein Security-Mann in Vollmontur stand am Eingang, zwei Mitarbeiter der Universität kontrollierten Presseausweise, ein absolut einzigartiger Vorgang, wie mir ein Journalist mit 30-jähriger Berufserfahrung bestätigte. Ich verteilte den Teilnehmern eine dreiseitige Liste mit wissenschaftlichen Studien, die alle zeigen, dass gesundheitliche Effekte auch unterhalb der Grenzwerte nachweisbar sind. Die ganze Woche nach Pfingsten gab ich Interviews, auch Radio DRS 1, nur zwei wurden gedruckt oder gesendet. In den letzten Jahren habe ich mehr als 300 Vorträge über Mobilfunk gehalten. Fast immer fragen mich die Leute hinterher: Warum steht das nicht in der Zeitung?

Warum steht es nicht in der Zeitung?

Weil die Mobilfunkindustrie effizientes Lobbying macht und den Zeitungen mit Inserateboykott droht. Zwei Verlagsmanager haben mir diesen Sachverhalt bestätigt. Druck wird auch auf Behörden und Wissenschaftler ausgeübt. Ich kenne mehrere Professoren, die eingeschüchtert wurden.

Sie behaupten, die Studie diene vor allem den Auftraggebern. Warum?

Weil man mit Untersuchungen, bei denen man Versuchspersonen einer Strahlung aussetzt, am wenigsten Resultate erhält. Viel ergiebiger und realistischer wären epidemiologische Studien, bei denen die gesundheitlichen Effekte tatsächlicher Strahlendosen über einen längeren Zeitraum gemessen würden. Zudem waren die Probanden der Zürcher Studie fast 20 Jahre jünger als bei der holländischen Studie, die verifiziert werden sollte. Mit zunehmendem Alter steigt die Elektrosensibilität sehr stark an. Im Weiteren wurden Leute mit Schlafstörungen ausgeschlossen. Seltsam mutet auch an, dass wir vier Probanden kennen, denen es kotzübel wurde, obwohl es im Bericht heisst, niemand sei in seinem Wohlbefinden beeinträchtigt worden. Ein wichtiger Punkt ist schliesslich, dass es keine exakte Definition für Elektrosensibilität gibt. Ich vermute, dass Leute in die Studie aufgenommen wurden, von denen fälschlicherweise behauptetet wurde, sie seien elektrosensibel. Die Behörden betonen wiederholt, die Schweizer Grenzwerte seien aus Gründen der Vorsorge besonders tief. Warum liegen diese für die Kritiker immer noch zu hoch? Die Grenzwerte berücksichtigen nur die thermischen Effekte der Strahlung innerhalb von sechs Minuten. Die Grenzwerte schützen uns also davor, dass wir uns in der Nähe einer Antenne nicht erhitzen wie in einem Mikrowellenofen. 90 Prozent der Beeinträchtigungen sind aber biologischer Natur, z.B. Tumorbildung, und treten erst nach einer gewissen Zeit auf. Es stimmt, dass wir in der Schweiz im Gegensatz zum Ausland einen Anlagegrenzwert von 6 Volt/m haben, während die so genannten Immissionsgrenzwerte bei 61 Volt/m liegen. In der Stadt Paris beispielsweise gilt jedoch ein Grenzwert von 2,5 Volt/m. Viele Leute leiden aber schon bei 0,8 bis 1,2 Volt/m. Die Grenzwerte richten sich übrigens nach Vorgaben der ICNIRP (Int. Commission on Non-Ionizing Radiation Protection), einer privaten Organisation, besetzt mit Exponenten der Mobilfunkindustrie. Wie eine Untersuchung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) aus dem Jahre 2005 zeigt, sind 5% der Bevölkerung vom Elektro-Smog betroffen. Neutrale und unabhängige (nicht am Tropf der Industrie hängende) Wissenschaftler und Mediziner bestätigen weltweit, dass die Elektrosensibilität akutell 20% beträgt. Vor der Einführung des digitalen Mobilfunks waren es aber nur 1%.

Warum sind denn die Grenzwerte so schwierig zu ändern?

Die zuständigen Instanzen akzeptieren für eine Änderung der Grenzwerte, nur den wissenschaftlichen Nachweis. Die Kriterien für einen «Nachweis» sind aber praktisch unerfüllbar: Eine Schädigung muss mehrfach, unabhängig voneinander und ohne Widerspruch nachgewiesen und in wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht werden. Oft wird Studien die Veröffentlichung verweigert. Oder dann werden sie ganz einfach angezweifelt. Es sind immer dieselben paar Wissenschaftler, die etwas in Frage stellen und damit den «Nachweis» im juristischen Sinn verhindern.

Die Befürworter des Mobilfunks relativieren die Gefahr der Antennen immer wieder, indem sie darauf hinweisen, dass die Schnurlos-Telefone viel stärker abstrahlen. Da ist doch etwas dran. Das ist zumindest scheinheilig. Wir haben die Mobilfunkindustrie schon vor Jahren auf die Gefahren der Schnurlos-Telefone hingewiesen – ohne Reaktion. Schnurlos-Telefone, über deren Einsatz jeder selber entscheiden kann, strahlen kaum weiter als die eigene Wohnung, währenddem Mobilfunk-Antennen mit rund 10‘000facher Leistung alle bestrahlen, ob sie das wollen oder nicht. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Übrigens: Wer unbedingt schnurlos telefonieren will, sollte zu seinem eigenen Schutz ein analoges Modell einsetzen.

Die Elektrosmog-Kritiker wirken sehr zersplittert. Was müsste geschehen, damit sie sich zu einer schlagkräftigen Organisation zusammenschliessen?

Es stimmt, dass zwar sehr viele Menschen dem Elektro-Smog kritisch gegenüber stehen, sich aber keine Dachorganisation für ihre Interessen einsetzt. Das liegt zum Teil daran, dass viele Gruppen zur Verhinderung einer bestimmten Antenne gegründet werden und sich daher wenig mit den gesamtschweizerischen Rahmenbedingungen befassen. Dann gibt es auf Seiten der Kritiker neben einer Portion Futterneid sehr unterschiedliche politische Stile, die eine Zusammenarbeit verhindern. Und schliesslich machen gewisse Firmen, die den Elektrosmog kritisieren, dicke Geschäfte mit Abschirmprodukten. Die sind gar nicht an einem wirkungsvollen Widerstand interessiert.

Es fällt auf, dass in der Ferienzeit besonders viele Baugesuche für Antennen publiziert werden. Was raten Sie?

Seit Jahren stelle ich fest, dass die Baugesuche für Antennen bevorzugt in der Ferienzeit oder über Weihnachten veröffentlicht werden. Das hat System. Wenn die Leute dann aus den Ferien zurückkommen, ist die 20tägige Einsprachefrist praktisch abgelaufen. Andrerseits hat, wer zuhause bleibt, mehr Mühe, Mitstreiter zu finden für eine Einsprache. Einige Gemeinden, leider noch eine kleine Minderheit, sind deshalb dazu übergegangen, Baugesuche für Antennen nicht mehr während der Schulferien zu publizieren. Ich empfehle dringend, vor den Ferien die Gemeinde anzufragen, ob demnächst ein Baugesuch für eine Antenne publiziert wird und den Antrag zu stellen, das Baugesuch zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs ausserhalb der Ferienzeit nochmals zu publizieren. Ein entsprechender Musterbrief kann auf der website www.diagnose-funk.ch heruntergeladen werden. Auch ausserhalb der Ferienzeit ist es ratsam, aufmerksam zu sein. Ich habe schon zwei Baugespanne für eine Antenne gesehen, die aus einem kleinen Pfosten von einem halben Meter Höhe bestanden, an der ein Plastikmäppchen befestigt war, in dem es hiess, die Antenne würde 35 Meter hoch. Mobilfunk ist schädlich für die Gesundheit, das weiss auch die Mobilfunkindustrie, sonst hätte sie solche Mätzchen gar nicht nötig.

Interview: Christoph Pfluger

Jürg Zimmermann (*1951) kommt aus den Fachrichtungen: Elektrotechnik, Elektronik (Hochfrequenztechnologie) und Betriebswirtschaft und arbeitet als Unternehmensberater. Seit acht Jahren beschäftigt er sich intensiv mit Elektrosmog. Er ist Mitgründer der Umweltorganisation Diagnose-Funk und hat als Berater von Gruppen bei Einsprachen schon über 60 Antennen verhindert. http://www.diagnose-funk.ch

Kontakt: Jürg Zimmermann, Benziwil 25, 6020 Emmenbrücke, Tel. 041 280 37 00

Quelle: http://www.zeitpunkt.ch/aktuell_mobilfunkantennen.htm

Mit freundlichen Grüßen übersandt:
Pesché Jeannot (Luxemburg)
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