10
Jul
2004

Messergebnisse lagen klar unter Grenzwerten

Mobilfunksendeanlagen – Erstaunliche Verharmlosung der Gesundheitsgefahren

Leserbrief

Zu den Artikeln „Geringe Strahlenbelastung“ (AZ vom 30. Juni), „Messergebnisse lagen klar unter Grenzwerten“ (2. Juli), „Ängste und Emotionen“ (5. Juli) sowie zum „Ratgeber Mobilfunk“ (Zeitungsbeilage vom 5. Juli 2004)

Es ist schon erstaunlich, was die Mobilfunkbetreiber durch ihre „Informationszentrale Mobilfunk“ (IZMF) unternehmen, um die von Mobilfunksendeanlagen ausgehenden Gesundheitsgefahren unter Berufung auf die geltenden Grenzwerte herunterzuspielen und zu verharmlosen. Demgegenüber ist zu betonen, dass die in Deutschland geltenden Grenzwerte anerkanntermaßen viel zu hoch sind. Außerdem bezwecken sie allein den Schutz vor den thermischen Effekten des Mobilfunks, d. h. vor der Wärmestrahlung, lassen aber alle anderen biologischen Effekte außer Acht und treffen in dieser Hinsicht keinerlei Vorsorge. Das ständige Lavieren mit eben diesen Grenzwerten hat den Frankfurter Biophysiker, Professor Dr. Werner Mäntele, zu der Aussage bewogen: „40 Millionen Handynutzer sind potentielle Versuchskaninchen in Deutschland“.

Leider lassen sich von solchen warnenden Stimmen weder die Mobilfunkbetreiber noch unsere Politiker beeindrucken. Als der Staatssekretär im Hessischen Umweltministerium sich auf Grund der von der IZMF publizierten, „hervorragend“ niedrigen Messergebnisse veranlasst sah, öffentlich eine Herabsetzung der Grenzwerte zu befürworten (vgl. AZ vom 30. Juni, S. 5), wurde er sofort zurückgepfiffen. Das Ministerium teilte noch am selben Tage mit, dass „die Absenkung der Grenzwerte kein Thema ist“ und dass man die Messergebnisse anderer Bundesländer abwarten will. Hier zeigt sich wieder einmal die unheilvolle Verzahnung von Wirtschaft und Politik.

Denn bei einer Senkung der Grenzwerte müsste so manche Mobilfunk-Basisstation stillgelegt werden. Bezeichnend ist, dass sich das Ministerium auf die gerade noch so hochgelobten Ergebnisse der Messreihe des IZMF nicht mehr verlassen will. In der Tat hatte man sich im Rahmen dieser Messreihe offenbar auch in Gießen Messpunkte ausgesucht, die von vornherein niedrige Messwerte garantierten. Hätte man nämlich Messungen auf den der Mobilfunksendeanlage Am Alten Friedhof benachbarten Wohngrundstücken durchgeführt, wären bis zu 30 fach (!) höhere Werte gemessen worden.

Wundern muss man sich auch über die verharmlosenden Äußerungen des Gießener Professors für Hygiene Dr. Thomas Eikmann. Mit diesen Äußerungen setzt er sich in Widerspruch zu den über 1000 Ärzten, die im „Freiburger Appell“ auf Grund ihrer Erfahrungen mit Patienten, die in der Nähe von Mobilfunksendeanlagen leben, vor den erheblichen Gesundheitsgefahren warnen, die von solchen Anlagen ausgehen. Weiß Professor Eikmann nicht, dass gewisse Frequenzen in den menschlichen Zellen Resonanzen zeigen? Kennt er nicht die besorgniserregenden Teilergebnisse der von der Europäischen Gemeinschaft in Auftrag gegebenen REFLEX-Studie, wonach elektromagnetische Felder bereits unterhalb der geltenden Grenzwerte in menschlichen Zellen DNA-Brüche hervorrufen und das Erbgut schädigen, worüber erst jüngst wieder in der Ärzte Zeitung vom 29.06.2004 berichtet wurde? Und ausgerechnet er möchte Patienten, die von „Elektrosensibilität“ betroffen sind, „einladen“, sich zur Behandlung „unter vier Augen“ in seine Ambulanz zu begeben. Wie verträgt sich ein solches Werben um Patienten überhaupt mit dem ärztlichen Standesethos?

Übrigens: Warum müssen in Flugzeugen Handys abgeschaltet werden? Die Zeitungsbeilage „Ratgeber Mobilfunk“ des IZMF weiß darauf die Antwort: „Bordinstrumente in Flugzeugen sind sehr sensibel.“ Der menschliche Organismus etwa nicht?

Professor Dr. iur. Alfred Söllner, Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D., Gießen

Der Leserbrief erschien am 9. Juli 2004 in der Giessener Allgemeinen („AZ“) auf Seite 29 ungekürzt unter den Überschriften.

Quelle: HLV INFO 10-07-2004/AT



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