Wenn das Amt die Miete nicht mehr bezahlt
Evangelischer Pressedienst Sozial - 2.7.2004
Beziehern von Arbeitslosengeld II droht die Verdrängung aus ihrer Wohnung
Ulrich Jonas
Hamburg (epd). Mit der Einführung des Arbeitslosengeldes (ALG) II droht die Vertreibung vieler Arbeitslosenhilfe-Empfänger aus ihren Wohnungen, warnen Mietervereine. Denn laut Gesetz sollen die Kommunen die Wohnkosten von Arbeitslosenhilfe-Empfängern nach sechs Monaten nur noch "in angemessener Höhe" übernehmen. Da die Mietobergrenzen dem entsprechen sollen, was Kommunen für Sozialhilfeempfänger zahlen, werden sich viele Betroffene billigeren Wohnraum suchen müssen - oder schlimmstenfalls auf der Straße landen.
Reinhard Winkler (Name geändert, Red.) hat vermutlich Glück im Unglück. Zwar wird der 51-jährige Arbeitslosenhilfe-Empfänger künftig auf 116 Euro Wohngeld verzichten müssen. Doch wird er seinen Mietvertrag dennoch nicht kündigen müssen, wenn Anfang kommenden Jahres das Sozialgesetzbuch II in Kraft tritt. Denn der gelernte Heizungsbauer mit kaputtem Rücken, ab 1. Januar ALG-II-Empfänger, zahlt für seine 42-Quadratmeter-Wohnung in Hamburg-Mümmelmannsberg nur 277 Euro Miete - für die Hansestadt ein günstiger Preis, der Wohnlage in einem sozialen Brennpunkt geschuldet.
Vielen anderen, so warnen Mietervereine, wird es schlechter ergehen: Sie werden sich bald eine billigere Wohnung suchen müssen, so die Befürchtung, weil die Ämter ihre Miete nicht mehr zahlen werden. Denn laut Gesetz sollen - nach einer Übergangszeit von sechs Monaten - für ALG-II-Empfänger künftig nur noch "angemessene" Wohnkosten übernommen werden. Die Mietobergrenze soll sich dabei an dem orientieren, was die Kommunen heute für Sozialhilfeempfänger auszugeben bereit sind.
"Es werden viele auf der Strecke bleiben"
Bis Ende dieses Jahres erhalten viele Arbeitslosenhilfe-Empfänger noch Wohngeld. Laut neuem Sozialgesetzbuch (SGB) II haben sie als ALG-II-Empfänger darauf keinen Anspruch mehr. Die Konsequenz: Viele Betroffene werden Post vom Amt erhalten, weil ihre Miete oberhalb des Grenzwerts liegt, der künftig für sie gelten wird. Beispiel Hamburg. Bis zu 318 Euro warm darf hier die Wohnung kosten, damit die Stadt die Miete für einen Sozialhilfeempfänger übernimmt. "Es gibt Wohnungen zu diesem Preis - aber viel zu wenige", sagt Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter beim Hamburger Straßenmagazin "Hinz & Kunzt".
Der 41-Jährige, der seit neun Jahren billigen Wohnraum für Obdachlose sucht, sieht mit den neuen Regelungen massive Probleme für Betroffene heraufziehen: "Der Konkurrenzdruck auf dem Markt wird so groß, dass viele auf der Strecke bleiben werden", meint Karrenbauer und verweist auf die stetig niedriger werdende Zahl an Sozialwohnungen und die Vorbehalte vieler Vermieter gegenüber sozial Schwachen. Die Konsequenz beschreibt der Bremer Sozialwissenschaftler Volker Busch-Geertsema, der seit vielen Jahren zum Thema Wohnungslosigkeit forscht: Das Risiko für Arbeitslose, ihre Wohnung zu verlieren und schlimmstenfalls auf der Straße zu landen, werde "erheblich steigen".
Ähnliche Befürchtungen hat am 6. Mai das Mieterforum Ruhr, eine Arbeitsgemeinschaft von Mietervereinen in Nordrhein-Westfalen, in einem Schreiben an das für die Einführung des ALG II zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) geäußert. Darin fordert das Mieterforum, der Bund solle von der im SGB II festgeschriebenen Möglichkeit Gebrauch machen, die Modalitäten der Mietübernahme für ALG-II-Empfänger in einer Rechtsverordnung zu regeln und so die Betroffenen vor Vertreibung aus ihren vier Wänden zu schützen.
"Es wird nicht zu Verdrängungen kommen"
Dafür gebe es "keinen Bedarf", so die Behörde von Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) in seiner Antwort vom 15. Juni. Da davon ausgegangen werden könne, "dass bei einer hohen Anzahl der Arbeitslosenhilfeempfänger die Wohnsituation der eingeschränkten Einkommenssituation bereits angepasst ist", werde es nicht zu Verdrängungen kommen, zumal Einzelfallregelungen möglich seien. Auch die Konzentration von Hilfeempfängern in bestimmten Stadtgebieten sei nicht zu befürchten, da günstiger Wohnraum "auch in Wohnvierteln mit grundsätzlich höherem Mietniveau" vorkomme.
"Diese Aussagen gehen völlig an der Realität vorbei", kommentiert Knut Unger vom Mieterforum Ruhr die Antwort. Ein großer Teil der heutigen Arbeitslosenhilfe-Empfänger bewohne Wohnungen, die "sicher nicht luxuriös sind, aber sehr wohl über den niedrigen Grenzwerten der Ämter liegen". Was die künftigen ALG-II-Empfänger zu befürchten hätten, liege auf der Hand: Die Mehrzahl der Kommunen habe in der Vergangenheit mittels der Mietobergrenzen zahlreiche Sozialhilfeempfänger aus ihren Wohnungen verdrängt, nur in wenigen Städten seien Richtwerte bestimmt worden, die "gerade noch hinnehmbar" seien. "Wenn die kommunalen Regelungen auf die bisherigen Arbeitslosenhilfe-Empfänger übertragen werden, bedeutet das, dass auf einen Schlag eine riesige Gruppe in die Amtswillkür der verarmten Sozialämter überführt wird." Fazit: "Damit wird es in den Kommunen zu einem Hauen und Stechen über die Frage kommen, wie viele Arbeitslose man zu Umzügen in billigere Wohnungen zwingen will und ob es diese Wohnungen überhaupt gibt."
http://www.epd.de/sozial/sozial_index_29118.html
Nachricht von Knut Unger
MieterInnenverein Witten u. Umg. e.V.
im Mieterforum Ruhr, DMB
Habitat Netz e.V., Witten
Witten Tenants Association, Habitat Net, Germany
Bahnhofstr. 46 D-58452 Witten
Postfach 1928 D-58409 Witten
Tel. ++49-(0)2302-276171
Fax. ++49-(0)2302-27320
unger@mvwit.de
Beziehern von Arbeitslosengeld II droht die Verdrängung aus ihrer Wohnung
Ulrich Jonas
Hamburg (epd). Mit der Einführung des Arbeitslosengeldes (ALG) II droht die Vertreibung vieler Arbeitslosenhilfe-Empfänger aus ihren Wohnungen, warnen Mietervereine. Denn laut Gesetz sollen die Kommunen die Wohnkosten von Arbeitslosenhilfe-Empfängern nach sechs Monaten nur noch "in angemessener Höhe" übernehmen. Da die Mietobergrenzen dem entsprechen sollen, was Kommunen für Sozialhilfeempfänger zahlen, werden sich viele Betroffene billigeren Wohnraum suchen müssen - oder schlimmstenfalls auf der Straße landen.
Reinhard Winkler (Name geändert, Red.) hat vermutlich Glück im Unglück. Zwar wird der 51-jährige Arbeitslosenhilfe-Empfänger künftig auf 116 Euro Wohngeld verzichten müssen. Doch wird er seinen Mietvertrag dennoch nicht kündigen müssen, wenn Anfang kommenden Jahres das Sozialgesetzbuch II in Kraft tritt. Denn der gelernte Heizungsbauer mit kaputtem Rücken, ab 1. Januar ALG-II-Empfänger, zahlt für seine 42-Quadratmeter-Wohnung in Hamburg-Mümmelmannsberg nur 277 Euro Miete - für die Hansestadt ein günstiger Preis, der Wohnlage in einem sozialen Brennpunkt geschuldet.
Vielen anderen, so warnen Mietervereine, wird es schlechter ergehen: Sie werden sich bald eine billigere Wohnung suchen müssen, so die Befürchtung, weil die Ämter ihre Miete nicht mehr zahlen werden. Denn laut Gesetz sollen - nach einer Übergangszeit von sechs Monaten - für ALG-II-Empfänger künftig nur noch "angemessene" Wohnkosten übernommen werden. Die Mietobergrenze soll sich dabei an dem orientieren, was die Kommunen heute für Sozialhilfeempfänger auszugeben bereit sind.
"Es werden viele auf der Strecke bleiben"
Bis Ende dieses Jahres erhalten viele Arbeitslosenhilfe-Empfänger noch Wohngeld. Laut neuem Sozialgesetzbuch (SGB) II haben sie als ALG-II-Empfänger darauf keinen Anspruch mehr. Die Konsequenz: Viele Betroffene werden Post vom Amt erhalten, weil ihre Miete oberhalb des Grenzwerts liegt, der künftig für sie gelten wird. Beispiel Hamburg. Bis zu 318 Euro warm darf hier die Wohnung kosten, damit die Stadt die Miete für einen Sozialhilfeempfänger übernimmt. "Es gibt Wohnungen zu diesem Preis - aber viel zu wenige", sagt Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter beim Hamburger Straßenmagazin "Hinz & Kunzt".
Der 41-Jährige, der seit neun Jahren billigen Wohnraum für Obdachlose sucht, sieht mit den neuen Regelungen massive Probleme für Betroffene heraufziehen: "Der Konkurrenzdruck auf dem Markt wird so groß, dass viele auf der Strecke bleiben werden", meint Karrenbauer und verweist auf die stetig niedriger werdende Zahl an Sozialwohnungen und die Vorbehalte vieler Vermieter gegenüber sozial Schwachen. Die Konsequenz beschreibt der Bremer Sozialwissenschaftler Volker Busch-Geertsema, der seit vielen Jahren zum Thema Wohnungslosigkeit forscht: Das Risiko für Arbeitslose, ihre Wohnung zu verlieren und schlimmstenfalls auf der Straße zu landen, werde "erheblich steigen".
Ähnliche Befürchtungen hat am 6. Mai das Mieterforum Ruhr, eine Arbeitsgemeinschaft von Mietervereinen in Nordrhein-Westfalen, in einem Schreiben an das für die Einführung des ALG II zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) geäußert. Darin fordert das Mieterforum, der Bund solle von der im SGB II festgeschriebenen Möglichkeit Gebrauch machen, die Modalitäten der Mietübernahme für ALG-II-Empfänger in einer Rechtsverordnung zu regeln und so die Betroffenen vor Vertreibung aus ihren vier Wänden zu schützen.
"Es wird nicht zu Verdrängungen kommen"
Dafür gebe es "keinen Bedarf", so die Behörde von Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) in seiner Antwort vom 15. Juni. Da davon ausgegangen werden könne, "dass bei einer hohen Anzahl der Arbeitslosenhilfeempfänger die Wohnsituation der eingeschränkten Einkommenssituation bereits angepasst ist", werde es nicht zu Verdrängungen kommen, zumal Einzelfallregelungen möglich seien. Auch die Konzentration von Hilfeempfängern in bestimmten Stadtgebieten sei nicht zu befürchten, da günstiger Wohnraum "auch in Wohnvierteln mit grundsätzlich höherem Mietniveau" vorkomme.
"Diese Aussagen gehen völlig an der Realität vorbei", kommentiert Knut Unger vom Mieterforum Ruhr die Antwort. Ein großer Teil der heutigen Arbeitslosenhilfe-Empfänger bewohne Wohnungen, die "sicher nicht luxuriös sind, aber sehr wohl über den niedrigen Grenzwerten der Ämter liegen". Was die künftigen ALG-II-Empfänger zu befürchten hätten, liege auf der Hand: Die Mehrzahl der Kommunen habe in der Vergangenheit mittels der Mietobergrenzen zahlreiche Sozialhilfeempfänger aus ihren Wohnungen verdrängt, nur in wenigen Städten seien Richtwerte bestimmt worden, die "gerade noch hinnehmbar" seien. "Wenn die kommunalen Regelungen auf die bisherigen Arbeitslosenhilfe-Empfänger übertragen werden, bedeutet das, dass auf einen Schlag eine riesige Gruppe in die Amtswillkür der verarmten Sozialämter überführt wird." Fazit: "Damit wird es in den Kommunen zu einem Hauen und Stechen über die Frage kommen, wie viele Arbeitslose man zu Umzügen in billigere Wohnungen zwingen will und ob es diese Wohnungen überhaupt gibt."
http://www.epd.de/sozial/sozial_index_29118.html
Nachricht von Knut Unger
MieterInnenverein Witten u. Umg. e.V.
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